Berührende Tier-Porträts für das Lebenszentrum

„Pongo“ heißt die Ausstellung mit berührenden Porträts von Menschenaffen aus dem Dortmunder Zoo. Für Fotograf Ralf Sänger war es in 50 Jahren Schwarz-Weiß-Fotografie sein vielleicht wichtigstes, auf jeden Fall eines seiner emotionalsten Projekte. Dank der Bürgerstiftung Unna hängen seine beeindruckenden Bilder jetzt im Lebenszentrum Königsborn.

Walter guckt nachdenklich. Was ihn wohl beschäftigt? Walter, das wilde Tier oder der Menschen ähnliche Affe? Beides ist richtig. Orang-Utans, die größten Lebewesen unserer Erde, die auf Bäumen wohnen, sind faszinierende „Waldmenschen“. So nennen wir die scheuen wie schlauen Tiere. Auf Borneo oder Sumatra heißen sie trefflicher „Mawas“, erzählt Ralf Sänger – was so viel bedeutet wie „nach innen schauend“. Der leidenschaftliche Fotograf beweist das mit seinen beeindruckenden Porträts von den Tieren.

„Pongo – Walter, Suma & Co – die Dortmunder Orang-Utans“ ist sein vielleicht schönstes Foto- und Buchprojekt, das der Unnaer in seinen 50 Fotografenjahren verwirklichen konnte. Gedacht als Zeitvertreib und Ablenkung, war die Eintrittskarte für den Dortmunder Zoo der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Nach eineinhalb Jahren mündete sie in einer Ausstellung mit besonderen und berührenden Bildern. Mit viel Geduld, Beharrlichkeit und einer alten Canon gelang dem Meister der Schwarzweiß-Fotografie eine intensive, emotionale Porträtserie.

„Du musst den toten Punkt erwischen“, weiß der 63-jährige Diplom-Geograf (Foto), der schon als Vierjähriger im elterlichen Bad erste Fotoexperimente wagte. Die eine Viertelsekunde, wo der Affe konzentriert guckt, die entscheidet. Gar nicht so einfach bei fahlem Licht und für einen, der analog auszog in den Zoo. Heißt: Der wie früher fotografiert – mit Belichtungszeiten, die den digitalen Pixel-Profis nur Kopfschütteln abringen.

Die langsame Technik war bewusst gewählt. In einer Phase permanenter Anspannung wollte sich Sänger von Tieren beruhigen lassen. Das hatte schon als Kind geklappt, als er mit seiner ersten Knipskiste in den Bochumer Tierpark spazierte und Bilder von Bartaffen oder Brillenbären schoss.

Im Dortmunder Zoo landete Ralf Sänger schnell bei den Menschenaffen. Er beobachtete die Orang-Utans (wissenschaftlicher Name: Pongo). Die Orang-Utans beobachteten ihn. Gegenseitig wurde der jeweils Andersartige erforscht. Je öfter der Fotomann kam und hier merklich entspannte, desto freudiger fiel die Begrüßung aus. Walter und & Co warteten schon – auf den langen Typen mit Stativ und diesem Ding da vorm Gesicht.

Blieb Sänger mal länger aus, war die sensible Suma sogar beleidigt. Und Walter ließ sofort den Chef raushängen. Das Alpha-Männchen ist übrigens das einzige Tier der Pongo-Familie, das Menschen direkt in die Augen schaut. Die anderen Orang-Utans wenden den Blick ab. Nur die Kamera ermöglicht den direkten Blick.

Pongos, die bis zu 60 Jahre alt werden können, mögen liebenswert und kuschelig aussehen, es bleiben wilde Tiere. Anfassen ist ausdrücklich verboten! Sängers Aufnahmen entstanden idealerweise in drei bis vier Metern Entfernung – dazwischen der Zaun, versteht sich.

Eineinhalb Jahre hat Ralf Sänger fotografiert, genauso lange über Orang-Utans in der freien Wildbahn und in Zoos geforscht und anspruchsvolle Texte für das kiloschwere Liebhaber-Fotobuch geschrieben (zum Selbstkostenpreis von 175 Euro leider schon vergriffen!). Das kritische Hinterfragen der Zootierhaltung ist Thema, ebenso der Tierschutz, Risiken und Chancen der künstlich angelegten Gehege für Wildtiere, aber auch die Umweltzerstörung in der Heimat der Menschenaffen und Wissenswertes über Orang-Utan-Hilfsprojekte.

Die Bilder verfehlen ihre Wirkung nicht. Nach dem Staunen kommt das Nachdenken. Vielleicht darüber, wie der Mensch mit Tieren, mit ihrem Lebensraum, auch mit seiner eigenen Umwelt umgeht. Der Fotograf zitiert an diesem Punkt gerne den Schriftsteller und Umweltaktivisten Carl Amery: „Der Mensch kann die Krönung der Schöpfung bleiben, wenn er begreift, dass er sie nicht ist“.

Die Sänger-Ausstellung mit insgesamt 40 Bildern zeigt die schönen Gesichter der archaischen Tiere – mit ihre ausdrucksstarken Augen, dem melancholischen, ja friedfertigen Blick, zeigt ihre tiefen Stirnfurchen vom Denken (?) oder vielen Runzeln, den in Falten geworfenen Mund vom Schreien und Lachen. Es sind stolze, starke Gesichter, umrahmt von teils lustigen, teils tadellos frisierten „Strohmützen“. Es sind individuelle Charakterstudien. Nur die spürbare Nähe zwischen Tier und Fotograf eint sie.

Die Bürgerstiftung Unna hat einst die komplette Ausstellung angekauft, um sie dem Lebenszentrum zu schenken, das viele Gebäude und Flure hat. Den Erlös wiederum hat Fotograf Ralf Sänger, der bis vergangenen Woche auch Leiter des Umweltzentrums Westfalen war, für die Anschaffung von Schulutensilien gespendet, die von der Bürgerstiftung über die Tafel verteilt wurden. Das ist jetzt schon fast drei Jahre her. Corona hat das gemeinnützige Projekt leider etwas in den Hintergrund rücken lassen.

Jetzt endlich wurden die großartigen Fotos als Ausstellung gerahmt und gehängt, und Bewohner*innen und Besucher*innen des Lebenszentrums in Königsborn können sich an den fesselnden Bildern erfreuen. Die Dauerausstellung hängt im Erdgeschoss des sozialpädiatrischen Zentrums – wenn die Pandemie ihren Griff endlich einmal lockert, auch wieder frei zugänglich.

HA-Foto: Udo Hennes

OrangUtan